Il trionfo del Tempo e del Disinganno
Oratorium in zwei Teilen von Georg Friedrich Händel Text von Benedetto Pamphili
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Italien inspiriert. Das wusste auch Georg Friedrich Händel, als er sich 1706 dorthin aufmachte. Im Jahr darauf schrieb er sein erstes Oratorium, das zugleich eines seiner schönsten werden sollte.
Was geschieht eigentlich, wenn die Schönheit (Bellezza) zwischen die Fronten des Vergnügens (Piacere) auf der einen Seite und der Zeit (Tempo) und der Erkenntnis (Disinganno) auf der anderen gerät? Sie muss sich zwischen ihnen entscheiden. Sie ist Einflüsterungen ausgesetzt, die verschiedener kaum sein könnten. Während Piacere versucht, Bellezza zu einem sorglosen Leben in unvergänglicher Jugend und glanzvoller Pracht zu verführen, haben Tempo und Disinganno statt des Hier und Heute nichts weniger als die Ewigkeit im Blick. Um Tod und Verfall zu entgehen, müsse die Schönheit einen Weg suchen, der sie zur Einsicht führt. In den »Spiegel der Wahrheit« zu sehen, anstelle falscher Verlockungen, die das leichtfertige Vergnügen bietet, nachzugeben – darin allein bestehen Ziel und Sinn des Lebens.
Vier allegorische Figuren führen einen Disput miteinander, an dessen Ende Tempo und Disinganno triumphieren, während das Vergnügen den Kürzeren zieht. Ein Stück über Schönheit und Vergänglichkeit, über die wirklich großen Dinge. Mit »Il trionfo del Tempo e del Disinganno« gelang dem jungen Georg Friedrich Händel ein hinreißendes Werk. Sein erstes Oratorium, 1707 in Rom geschrieben und aufgeführt, ist zugleich eines seiner schönsten, voll von inspirierter und inspirierender Musik, mit virtuosen Arien und vielen anrührenden Momenten. Der »italienische Händel« von seiner besten Seite – dass er schon frühzeitig in ganz Europa berühmt wurde, ist angesichts dieser Musik nur zu verständlich. Jürgen Flimms Inszenierung, die bereits in Zürich und Madrid gefeiert wurde, ist nun wieder im Schiller Theater zu erleben.
Medien
ERSTER TEIL
Bellezza (Die Schönheit) betrachtet sich wohlgefällig im Spiegel, weiß jedoch, dass ihre Schönheit eines Tages vergehen wird. Piacere (Das Vergnügen) heitert sie auf und verspricht ihr ewige Schönheit, wenn sie nur dem Vergnügen die Treue hält. Bellezza schwört, sie nie zu verlassen und sich andernfalls einer schweren Strafe auszusetzen.
Piacere warnt vor der Zersetzungskraft unnützer Sorgen, da mischen sich Tempo (Die Zeit) und Disinganno (Die Ent-Täuschung) in das Gespräch. Sie wollen gemeinsam die Vergänglichkeit der Schönheit offenlegen, die schnell wie eine Blume welke. Piacere fordert sie zu einem Wettstreit heraus; Bellezza ist nun überzeugt davon, dass die Zeit ihrer Schönheit nichts anhaben kann.
In rascher Folge wechseln die Argumente: Tempo verweist darauf, dass man nur die Gräber öffnen müsse, um sich vom Verfall der Schönheit zu überzeugen; Bellezza und Piacere betrachten es als eitle Verschwendung, sich schon in jungen Jahren mit dem Gedanken an den Tod auseinanderzusetzen. Disinganno setzt der Begrenztheit des irdischen Lebens die Unendlichkeit der Zeit gegenüber. Piacere nennt die Zeit einen unliebsamen Faktor, den man ignorieren müsse, um sich des Lebens erfreuen zu können.
Tempo und Disinganno führen ins Feld, dass es in der Natur des Menschen liegt, sich zu zerstören, während die Zeit sich stets erneuert.
Der nachdenklich gewordenen Bellezza führt Piacere alle nur erdenklichen Vergnügungen vor Augen. Unerwartete Unterstützung erhält sie, als ein anmutiger Jüngling mit verführerischen Klängen an die unvergängliche Schönheit der Musik erinnert. Bellezza ist überzeugt davon, dass die Zeit ihr dieses Vergnügen niemals rauben kann. Doch erneut gelingt es den beiden Widersachern, Zweifel zu wecken: Wenn Bellezza das Vergehen der Zeit auf Erden nicht akzeptieren wolle, solle sie sich wenigstens um ihr Seelenheil in der Ewigkeit bemühen, bevor es zu spät ist.
Verunsichert stimmt Bellezza dem Vorschlag zu, sich die Wahrheit, als deren Vertreter sich Tempo und Disinganno bezeichnen, wenigstens einmal vor Augen führen zu lassen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass dort das wahre Vergnügen zu finden sei. Vergeblich warnt Piacere davor.
ZWEITER TEIL
Tempo fordert Bellezza auf, in den Spiegel der Wahrheit zu blicken; Piacere hingegen bittet sie inständig, die Augen davor zu schließen. Tempo belehrt sie darüber, dass ihr Leben in drei Abschnitte geteilt sei: Die Vergangenheit, die sie unnütz verschwendet habe, die Gegenwart, die im selben Moment vorübergehe, und die Zukunft, die ihr verborgen bleibe, wenn sie sich der Wahrheit entziehe.
Bellezza kann an diesen Ausführungen nichts Vergnügliches finden, macht sich aber Gedanken über ihre Zukunft, die ihr plötzlich bedrohlich erscheint. Aufgebracht erinnert Piacere sie an ihren Schwur, ein schlimmes Los auf sich zu nehmen, wenn sie dem Vergnügen abschwört.
Bellezza kann sich nicht entscheiden und wünscht sich die Möglichkeit, einen Kompromiss zu schließen. Zwei Herzen möchte sie in ihrer Brust haben, um eines dem Vergnügen, das andere der Reue zu überlassen. Tempo und Disinganno nutzen ihre Verunsicherung und schildern in eindringlichen Bildern die Vorteile eines tugendhaften Lebens. Auch für Bellezza sei es noch nicht zu spät, ihren bisherigen Weg zu ändern und ihre Fehler zu bereuen.
Bellezza verlangt Zeit, um sich entscheiden zu können. Aber die Zeit – so Tempo – sei ja bei ihr. Verzweifelt sucht Bellezza nach einem Ausweg, doch die Antworten Disingannos auf ihre Fragen rauben ihr jegliche Illusion.
Noch einmal bittet Piacere sie, sich das Leben nicht unnötig schwer zu machen, da die Zeit sie ohnehin einholen wird; doch der traurige Ton, in dem diese Bitte vorgetragen wird, führt die Entscheidung herbei: Bellezza will ihr bisherigen Leben ändern, um in der Stunde des Todes ohne Reue vor Gott zu treten. Sie übergibt sich der Führung von Tempo und Disinganno.
Ihre Schönheit scheint ihr nun verwerflich zu sein; sie entledigt sich ihres Schmuckes, verlangt nach einem Bußgewand und verwünscht den Umstand, das Vergnügen jemals kennengelernt zu haben. Wütend enteilt Piacere.
Bellezza ist entschlossen, ihr Leben als Nonne in einem abgelegenen Kloster einsam zu beenden. Sie bittet den Himmel um Beistand.
»Wie Sylvia Schwartz mit dem kaum Hörbaren einen Theatersaal füllen kann, dem Leisesten noch Farben und Nuancen abgewinnen kann, das Verschwindende noch verklingen lässt, war ebenso zu Herzen gehend wie sensationell. Die berühmte Stecknadel hätte man fallen hören können, bevor endlich der Jubel losbrach.«
Neues Deutschland
»Besser kann diese Musik nicht klingen. Dirigent Marc Minkowski setzte mit seinen Leuten neue Maßstäbe: Das Zusammenspiel zwischen Graben und Bühne grenzte an Perfektion, alle Beteiligten atmeten die Einmütigkeit eines Streichquartetts. Virtuoseste Läufe bei atemberaubenden Tempi, Lautstärkewechsel auf engstem Raum, wie sie nur mit Barockinstrumenten möglich sind, dazu eine Spielfreude wie beim Jugendorchester. Beste Sängerin war die Sopranistin Inga Kalna mit ihrer wunderbar beweglichen Piacere-Darbietung. Gefühlvoll und gerade bei Ensembles klug ausbalanciert: Delphine Galou (Alt) als Disinganno und Charles Workman (Tenor) als Tempo. Die Sopranistin Sylvia Schwartz hatte als Hauptfigur Bellezza jede dritte Nummer zu singen. Sie tat es mit viel Gespür für die nachdenklichen Seiten der Figur.«
Die Welt
»Die Inszenierung lässt Raum für die eigene Phantasie, ist im Grunde ähnlich minimalistisch wie die legendäre Calisto-Aufführung von Herbert Wernicke – die damals beste Aufführung der Barock-Strecke an der Berliner Staatsoper. Und sie ist auch die beste Inszenierung einer Barock-Oper in Berlin seitdem.«
rbb Kulturradio
»Hier kommt alles zusammen: Musik, Bildhaftigkeit, Orchestersprache, Bühnenaufriss, Gesang und Regie, um aus Händels Oratorium ein durch und durch fesselndes Bühnenerlebnis zu machen. Jürgen Flimms Regie wird am Schiller Theater mit Recht bejubelt.«
Berliner Morgenpost
»Der Schauplatz von Flimms Inszenierung, ein großes Restaurant im Retroschick, bietet zahlreiche szenische und symbolische Möglichkeiten. Die Stimmung kurz vor Schluss, wenn die Lichter erkaltet, alle Tische abgeräumt sind und die Putzfrau vor den letzten Gästen bereits ihre Arbeit beginnt, ist ein wunderbarer Ausdruck für die Tabula rasa im Leben der 'Schönheit'.«
Berliner Zeitung
»Magischer Händel an der Staatsoper«
The Epoch Times
»Jürgen Flimms Inszenierung ist ein wahres Vergnügen, auch dank dem starken Sängerquartett und den großartigen Musiciens du Louvre · Grenoble mit Marc Minkowski.«
B.Z.
»Ein herrlicher Opernabend.«
BILD
Kann man so ein hochbarockes, allegorisches Oratorium bebildern, bei dem es um den »Triumph der Zeit und der Enttäuschung« über die vom Vergnügen (Il Piacere) sekundierte Schönheit (La Bellezza) geht? Jürgen Flimm kann. Seine Bilder können unter die Haut gehen; es gibt Momente, wo einem der Atem stockt. Wo intelligent Bedeutungsräume aufgetan, Zeichen gesetzt werden, die einen unmittelbar berühren.
Neue Zürcher Zeitung, 27. Januar 2003
Der Abend ist ein einziges, anhaltendes und lange nachwirkendes »piacere«! Mag auch die Vergänglichkeit auf der Opernbühne wahrhaft oft besungen worden sein: So leidenschaftlich wie hier ist es wohl nur selten geschehen. Ein Abend voller Entdeckungen.
Tages-Anzeiger, 27. Januar 2003
Das ist schlüssiges, spannendes, detailverliebtes Theater. Frenetischer Jubel.
Badische Zeitung, 27. Januar 2003
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In Zusammenarbeit mit dem Opernhaus Zürich