Ti vedo, ti sento, mi perdo

In attesa di Stradella

Oper in zwei Akten

Musik und Text von

Salvatore Sciarrino

Salvatore Sciarrino ist kein Unbekannter an der Berliner Staatsoper. Bereits fünf seiner Musiktheaterwerke sind im Schiller Theater zwischen 2010 und 2016 zur Aufführung gekommen. Nun hat er ein neues Werk geschrieben, in seiner unverkennbaren musikalischen Sprache: Glasklare Klänge, zerbrechlich und zugleich eindringlich, dazu eine hochartifizielle, nuancenreiche Textbehandlung sowie Verweise auf vergangene Kapitel der Musikgeschichte, die in zeitgenössischem Kontext neu beleuchtet werden.
»Ti vedo, ti sento, mi perdo« (»Dich sehen, dich spüren, mich verlieren«) trägt den Untertitel »Warten auf Stradella«. Aufgegriffen wird das Schicksal des seinerzeit überaus prominenten italienischen Komponisten Alessandro Stradella, der 1682 unter mysteriösen Umständen einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel.

Im Palazzo der hochadligen Familie Colonna im barocken Rom erwarten eine Sängerin, ein Literat, ein Musiker, ein Chor und ein Instrumentalensemble auf der Bühne die Ankunft des Komponisten. Doch am Ende erreicht sie statt einer versprochenen neuen Arie die Nachricht von Stradellas Tod. Bis dahin wird ausgiebig über den ebenso streitbaren wie originellen Künstler – schon zu Lebzeiten eine Legende – und seine Musik berichtet und reflektiert. Unterschiedliche Perspektiven und Wertmaßstäbe spielen dabei eine Rolle, desgleichen auch das Nachdenken über die menschliche Natur, über den Körper, die Sinne und die Leidenschaft – mithin über das, was die Kunstform Oper in ihrem Kern ausmacht.

Begleitend zu »Ti vedo, ti sento, mi perdo« präsentiert die Staatsoper in Zusammenarbeit mit Bertelsmann/Archivio Storico Ricordi, Mailand, im Apollosaal die Ausstellung »Salvatore Sciarrino – Zeichen und Klang«. Sie umfasst verschiedene Skizzen, Diagramme und persönliche Dokumente und erlaubt so einen Einblick in Sciarrinos Arbeitsweise. Die Ausstellung ist vom 30. Juni (Eröffnung im Rahmen der Einführungsmatinee) bis zum 15. Juli 2018 während aller Vorstellungen im Opernhaus zugänglich.

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ERSTER AKT
Rom, im Hochbarock: In einem Saal eines hochherrschaftlichen Palazzo bereitet man eine Aufführung vor. Eine Bühne wird errichtet; die Sängerin, samt mehrerer Choristen und Instrumentalisten, probt die Kantate, die zu diesem Anlass gegeben werden soll. Sie handelt von Entstehung und Wesen der Musik: vom Orpheus-Mythos. Zunächst wird die Vorbeifahrt an der Sireneninsel thematisiert, als Orpheus seine Gefährten vor dem verführerischen Gesang der männermordenden Sirenen bewahren konnte, indem er einen lauten Gegengesang anstimmte.
Der Literat und der Musiker lauschen ungeduldig der Probe. Sie warten auf den berühmten und skandalumwitterten Komponisten Alessandro Stradella, den »neuen Orpheus«, der zur Krönung der Aufführung eine neue Arie versprochen hat. Der Musiker steht Stradellas exzentrischen Neuerungen skeptisch gegenüber, der Literat dagegen sieht darin nichts als lediglich die Suche nach Wahrheit umgesetzt – wie in den Gemälden Caravaggios. Auch die Sängerin entpuppt sich als Stradella-Anhängerin und gibt einige Kostproben seiner Musik.
Derweil zerreißen sich die Diener des Hauses – Solfetto, Finocchio, Minchiello sowie die Dienstmädchen Pasquozza und Chiappina – über Fürst und Fürstin, also den Hausherrn und seine Gattin, sowie über die Gäste das Maul. Sie äffen die hohen Herrschaften und deren merkwürdiges Benehmen nach und tauschen den neuesten Klatsch und Tratsch aus. Unterdessen wird die Probe fortgesetzt. Auch der Musiker und der Literat kommen auf Stradellas exzessives Privatleben zu sprechen: Ihm würden zahlreiche leidenschaftliche Affären, unter anderem zu hochstehenden Damen der römischen Gesellschaft, nachgesagt, die ihn regelmäßig in Schwierigkeiten brächten.

ZWEITER AKT
Auch Jahre später geht die Probe noch immer weiter, ohne dass Stradella aufgetaucht ist. Solfetto und Finocchio warten mit der Neuigkeit auf, dass der Komponist mitsamt seiner neuesten Liebschaft, einer Gräfin, aus der Stadt geflohen sei, aber vom eifersüchtigen Ehemann verfolgt werde. Davon unbeeindruckt wird weitergeprobt.
Schließlich treffen weitere Gerüchte ein: Stradella sei in Turin von Häschern attackiert worden, habe aber – zur Erleichterung aller – den Angriff überlebt und nun ohne seine Geliebte in Genua Zuflucht gesucht. Es scheint aber fraglich, ob er noch seinem Kompositionsauftrag nachkommen könne.
Die Sängerin unterbricht die Arbeit an der Kantate und widmet sich mehreren kleineren Liedern von Stradella, während sich die Dienerschaft gelangweilt fragt, wann die Probe endlich aus sei. Langsam scheint jedoch die Kantate mit der Schilderung von Orpheus’ Ermordung durch die rasenden Bacchantinnen ein Ende zu nehmen.
Unterdessen geraten sich der Musiker und der Literat über die Frage nach der Sinnlichkeit in der Kunst in die Haare. Unterbrochen wird ihr Streit vom Auftritt eines jungen Sängers, der berichtet, dass Stradella ermordet worden sei. Zusammen mit einem Geiger stimmt er einen Klagegesang auf den großen Künstler an.
Damit ist die Probe schlagartig aus, die Choristen und Musiker verlassen den Saal. Der junge Sänger drückt der perplexen Sängerin wortlos ein Notenblatt in die Hand. Im Gehen kommentiert er mit dem Musiker und dem Literaten Stradellas bescheidenen Nachlass. Die Sängerin, allein zurückgeblieben, entziffert die Musik auf dem Papier – ist es die Arie, auf die sie die ganze Zeit gewartet hat?

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