Les Contes d’Hoffmann
Besetzung
- Musikalische Leitung:
- Inszenierung:
- Hoffmann:
- Olympia:
- Antonia:
- Giulietta:
- Lindorf, Coppélius, Dr. Miracle, Dapertutto:
- La Muse, Nicklausse:
Magazin Nr. 2 - 2025/26
Lydia Steier inszeniert Les Contes d’Hoffmann, Pene Pati ist in der Titelpartie zu erleben. Im historischen Ambiente des Lokals „Lutter & Wegner“ in E. T. A. Hoffmanns Wohnhaus sprechen sie über die Neuproduktion an der Staatsoper.
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Jacques Offenbachs unvollendete letzte Oper verfügt über eine ganz eigene Magie. In der „opéra fantastique“ Les Contes d’Hoffmann (Hoffmanns Erzählungen) verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Traum, zwischen Liebe und Kunst, zwischen Leben und Tod. Offenbach greift inhaltlich auf ein Schauspiel von Jules Barbier und Michel Carré zurück, die darin ihrerseits Motive aus den romantischdüsteren Geschichten E. T. A. Hoffmanns verarbeiten und den Dichter selbst zum tragischen Helden machen: Hoffmann wartet reichlich angezecht in einer Weinstube auf Stella, eine Sängerin, der er ganz und gar verfallen ist. Von seinen Freunden ermuntert beginnt er, von seinen prägenden Begegnungen mit drei Frauen zu erzählen: der mechanischen Puppe Olympia, der todkranken Sängerin Antonia und der verführerischen Kurtisane Giulietta.
Drei Charaktere, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten und doch sind sie auch Verkörperungen einer einzigen Idee. Jede von ihnen steht für eine Facette des Künstlertums: das Streben nach Perfektion, die Hingabe an die Kunst, die Verlockung der Sinnlichkeit – Hoffmann verliert jede von ihnen. Zugleich sind Olympia, Antonia und Giulietta Projektionsflächen Hoffmanns, sodass man als Zuschauer:in unweigerlich hinterfragen muss, wie subjektiv seine Erzählungen sind. Nicht nur der fragmentarische Charakter des Werks, das in zahlreichen Fassungen, Bearbeitungen und Editionen überliefert ist, trägt somit dazu bei, dass sich für jede Neuproduktion grundlegend verschiedene Deutungsmöglichkeiten der Geschichte ergeben.
Darüber unterhielten sich die Regisseurin Lydia Steier und der Tenor Pene Pati, der in der Titelpartie sein Rollendebüt gibt, im Anschluss an eine Probe an einem Ort mit unmittelbarem Bezug zum Stück. Denn die Rahmenhandlung von Les Contes d’Hoffmann spielt in einem noch heute existierenden Lokal, das sich inzwischen in Hoffmanns einstigem Wohnhaus befindet: Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt. Hier verlor sich E. T. A. Hoffmann einst in Erinnerungen – und sein Rausch wurde zum Ausgangspunkt einer der faszinierendsten, aber auch komplexesten Opern des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
„Es hat anfangs ein bisschen gedauert, bis ich einen Zugang zu dem Stück gefunden habe“, gibt Lydia Steier zu und verweist dabei auf die jüngere Rezeptionsgeschichte. „Immer wieder wird versucht, den drei Frauen im Sinne einer feministischen Lesart eine Agenda zu geben, die ich aber nicht erkennen kann.“ Gleichzeitig ist sie fasziniert von den unzähligen Farben der Oper, die sich unter anderem durch die verschiedenen Welten ergibt, in denen die Akte angesiedelt sind. „Es gibt die tiefe Tragik Hoffmanns, die Düsternis, aber auch jede Menge melodramatische, komische oder groteske Momente, alles, was das Leben ausmacht.“ Der schier allumfassende inhaltliche Reichtum der Oper ist für Steier letztlich auch der Schlüssel zu ihrer Interpretation: „Ich erzähle die Geschichte als Rückblick auf ein Leben. Hoffmann wird in unserer Inszenierung gleich zu Beginn sterben und in einer Art surrealem Purgatorium – ich finde den Begriff ‚Fegefeuer’ nicht ganz passend – auf sein bisheriges Tun als Mensch, weniger als Künstler, zurückblicken.“ Pene Pati, der in der mörderisch langen und fordernden Partie praktisch pausenlos auf der Bühne ist, freut sich über die Zusammenarbeit mit Lydia Steier. „Ich finde das Konzept unglaublich überzeugend. Es hat mir eine vollkommen neue Perspektive auf das Stück eröffnet, weil es nicht nur um Hoffmann als Künstler geht, sondern um eine Reflexion seines gesamten Lebens. Hoffmann muss lernen, mit seinen inneren Dämonen umzugehen, das empfinde ich als lebensnah und allgemeingültig.“ Und auch die Regisseurin ist begeistert von der Besetzung, mit der sie die Oper erarbeitet: „Besonders die komischen Momente brauchen ein so großes Maß an Präzision, das kann nicht jeder Sänger umsetzen.“
„Das Konzept hat mir eine vollkommen neue Perspektive auf das Stück eröffnet, weil es nicht nur um Hoffmann als Künstler geht, sondern um eine Reflexion seines gesamten Lebens.“
Pene Pati
Neben der Titelfigur macht Lydia Steier besonders zwei Charaktere zu Hauptfiguren: Die Muse in Gestalt eines Engels und der Teufel – verkörpert durch die vier „Bösewichte” Lindorf, Coppélius, Dr. Miracle und Dapertutto – streiten um den toten Hoffmann und wollen anhand der Rückschau auf sein Leben entscheiden, ob er in die Hölle hinabgezogen wird oder in den Himmel emporsteigen darf – ein existenzieller Konflikt. „In der Rahmenhandlung ist Hoffmann ein vom Leben gezeichneter Künstler im New York der 1980er Jahre. Im Fegefeuer findet er sich plötzlich in einer grün schimmernden, zwielichtigen Bar wieder, in der er zahlreichen toten Künstlern begegnet“, beschreibt Lydia Steier die Szenerie. „Hier erzählt Hoffmann von den drei Frauen und nimmt gleich im Olympia- Akt die Außenperspektive ein: Hoffmann beobachtet sein etwa 10-jähriges Selbst bei seiner ersten desaströsen Liebeserfahrung. Dieser Blick auf die eigene Figur gefällt mir besonders”, führt Pene Pati aus.
Die Verortung der Geschichte an der Schwelle von Leben und Tod, von Diesseits und Jenseits führt schließlich auch wieder zu E. T. A. Hoffmann und seinen Erzählungen zurück, die von einer ausgeprägten Faszination für Traum- und Phantasiewelten zeugen. Die Figuren, die in der Oper als Widersacher Hoffmanns in Erscheinung treten, werden auch in den literarischen Vorlagen mit diabolischer Metaphorik charakterisiert. Das Zwischenreich, in dem Engel und Teufel in Lydia Steiers Inszenierung wirken, wird somit zu einem neo-romantischen Wimmelbild – bunt, skurril und vor allem kurzweilig.
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Dies entspricht auch der durchaus heterogenen Musik von Les Contes d’Hoffmann. Ihre stilistische Bandbreite reicht von der geradezu übermenschlich virtuosen Arie der Olympia, die wie eine Parodie auf die mechanische Perfektion der Opernkunst scheint, bis hin zur berühmten „Barcarole“ – ein Nachtlied über Liebe, Lust und Vergänglichkeit. Chor und Ensemble verkörpern zahlreiche mitunter merkwürdige Gestalten, die Hoffmanns Phantasiewelten bevölkern. Ebenso gibt es aber auch berührende Momente von großer Intimität, besonders im kammerspielartigen Antonia-Akt. Die Berliner Fassung fußt überwiegend auf der Neuedition von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck und entstand in der Zusammenarbeit von Lydia Steier und dem Dramaturgen Maurice Lenhard mit dem musikalischen Leiter Bertrand de Billy, der ein ausgewiesener Kenner von Offenbachs Musik ist.
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Seit der letzten Neuinszenierung von Les Contes d’Hoffmann an der Staatsoper Unter den Linden sind 38 Jahre vergangen, sodass eine ganze Generation von Opernliebhaber:innen herangewachsen ist, ohne Offenbachs Meisterwerk in einer neuen Deutung an diesem Haus zu erleben. Am 16. November 2025 findet die Premiere auf der Bühne der Staatsoper statt – unweit der historischen Wirkungsstätten E. T. A. Hoffmanns, an denen sich Berlin zumindest auf den zweiten Blick von seiner romantischen Seite zeigt. Zur weiteren Beschäftigung mit E. T. A. Hoffmann regt ab Mitte November zudem ein Audiowalk an, der auf der Webseite der Staatsoper zu finden ist und zu den wichtigsten Wirkungsstätten des romantischen Dichters führt.
von Christoph Lang
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Aus dem Magazin der Staatsoper Unter den Linden - Nr. 2.
Am 15. November 2025 erscheint die neue Ausgabe des Magazins der Staatsoper mit spannenden Einblicken und Interviews zur nächsten Premiere, der Uraufführung von Das kalte Herz, 100 Jahre Wozzeck und der Staatskapelle Berlin.